Sanae Takaichi, die erste Premierministerin Japans, ist entschlossen, in ihrer Wirtschafts- und Fiskalpolitik ihrem Vorbild Shinzo Abe nachzueifern und die von ihm begründeten „Abenomics“ wiederzubeleben. Dies könnte sich allerdings als Politikfehler herausstellen, denn die Rahmenbedingungen sind heute ganz andere als im Jahr 2012, als der damalige Premier Abe seine wirtschaftspolitische Strategie vorlegte.
Der wichtigste Unterschied zum damaligen Umfeld liegt in der Inflation: Abe wollte mit einer massiven Nachfragebelebung und einer lockeren Geldpolitik vor allem die lange Phase deflatorischer Tendenzen in Japan beenden, was ihm nur zum Teil gelang. Zur Zeit von Takaichis Amtsantritt liegt die Inflation in Japan bei knapp 3 Prozent. Es besteht Konsens, dass sie mittelfristig nicht unter 2 Prozent sinken wird und ein Rückfall in deflatorische Dynamiken vorerst nicht zu befürchten ist.
Eine Politik, die in einer solchen Lage die Nachfrage weiter ankurbeln will, treibt potenziell die Inflation nach oben und bringt die japanische Notenbank in eine äußerst schwierige Lage. Die Bank of Japan befindet sich seit einiger Zeit auf dem Weg, ihre über viele Jahre hinweg ultra-expansive Geldpolitik zu normalisieren. Ihr sehr vorsichtiges Vorgehen ist darauf ausgerichtet, Verwerfungen an den Kapitalmärkten sowohl mit Blick auf die Zinsen als auch auf den Wechselkurs des Yen zu vermeiden. Vor allem der erste Punkt ist kritisch, weil zur Normalisierung der Geldpolitik auch die Verringerung der Staatsanleihekäufe durch die Notenbank gehört. Innerhalb eines Jahres hat die Bank of Japan das Ankaufvolumen bereits um etwa 10 Prozent gesenkt, erwirbt damit aber weiter Staatsanleihen für etwa 12 Billionen Yen je Quartal.
Trotzdem genügte diese leichte Reduzierung, um die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen auf ein Niveau von zuletzt etwa 1,8 Prozent nach oben zu treiben. Daraus ergeben sich angesichts der enormen Staatsverschuldung von 235 Prozent des Bruttoinlandsprodukts potenziell erhebliche zusätzliche Zinsaufwendungen des Staates. Man sieht daran, wie eng der Spielraum der japanischen Notenbank zur Normalisierung ihrer Geldpolitik ist und wie sehr sie darauf hoffen muss, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät. Müsste die Bank of Japan ihren Leitzins schneller erhöhen als erwartet, wären negative gesamtwirtschaftliche Konsequenzen unvermeidlich. Täte sie es im Falle steigender Inflationsraten nicht, würden hingegen ein Vertrauensverlust und weitere steigende Zinsen drohen.
Die enge Verzahnung von Fiskal- und Geldpolitik – ein Kennzeichen der „Abenomics“ – stellt grundsätzlich ein Problem für die formell garantierte Unabhängigkeit der Notenbank dar. Umso wichtiger ist es, dass beide Bereiche nicht miteinander in Konflikt geraten. Das kann nur heißen: Die Fiskalpolitik sollte nicht so expansiv ausgerichtet sein, wie es zu Zeiten der „Abenomics“ der Fall war. Takaichi wird jenseits ihres Vorbilds eine eigene Ausrichtung ihrer Wirtschaftspolitik finden müssen. Andernfalls droht ihr ein „Liz Truss“-Moment, wenn die Märkte zum Ausverkauf übergehen sollten.